Holocaust Gedenktag 2025

«Um uns von der Hölle zu retten»

mck. Achtzig Jahre ist es her, dass die Rote Armee am 27. Januar 1945 das Konzentrationslager Auschwitz befreite, und damit ein Grauen enthüllte, das bis heute nachhallt, und sich dem menschlichen Fassungsvermögen entzieht. Seither wurde viel von den Lehren aus der Geschichte geredet und davon, dass sich ein Ereignis wie der Holocaust und eine Staatsform wie die faschistische Diktatur niemals wiederholen dürfe. Mit der «Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes» (1948, in Kraft seit 1951) wurde der Genozid durch die UNO als Straftatbestand definiert, erst 1998 (in Kraft seit 2002), also 50 Jahre später, ein Gerichtshof geschaffen, der dieses Verbrechen untersuchen und ahnden soll (Internationaler Strafgerichtshof in Den Haag). Die gesamte Nachkriegsordnung, die durch die UNO festgelegten internationalen Regeln, sollten einen Angriffskrieg (wie den Überfall Hitler-Deutschlands auf Polen) für alle Zeit unmöglich machen. Der Angriffskrieg wurde 1945 verboten. Die «Wahrung des Weltfriedens» (UN-Charta, Art. 1, Abs. 1) ist der Daseinszweck der UNO, die dieses Jahr ebenfalls 80 Jahre alt wird.

Holocaust Gedenktag

Holocaust Gedenktag 2025

Dag Hammarskjöld (1905-1961), der zweite UN-Generalsekretär, sagte 1954: «Die Vereinten Nationen wurden nicht gegründet, um uns in den Himmel zu bringen, sondern um uns vor der Hölle zu retten.» Das Rezept dazu: Krieg mit «Kriegern» (bzw. «Blauhelmen») zu verhindern. Das klingt paradox, aber rund 70 UN-Friedenseinsätze fanden seit 1948 statt, 17 davon laufen noch, einige fanden nie statt, weil der Sicherheitsrat sich über deren Durchführung nicht einigen konnte, und zwei sind klar gescheitert, weil die UN-Mitglieder dem UN-Generalsekretär nicht rechtzeitig genug Mittel zuerkannten (das geschieht leider oft): Ruanda 1994 und Srebrenica 1995. Beide Male waren den UN-Blauhelm-Soldaten die Hände gebunden, um einen Völkermord zu verhindern. Böse Omen für das 21. Jahrhundert: Denn 80 Jahre nach ihrer Errichtung bröckelt die internationale Ordnung, der Angriffskrieg ist auch in Europa nicht mehr tabu, Diktaturen erstarken und die Demokratie gerät in die Defensive, von aussen und innen. Sicher, Trump ist nicht Hitler, und die Geschichte wiederholt sich nicht, aber oft genug reimt sie sich eben doch. Demokratien gründen auf Gleichberechtigung. Wenn der gewählte Präsident der USA sagt, Migranten, die in den USA einen Mord begangen hätten, hätten dies getan, weil es in ihren Genen liege (8.10.24); oder dass Transgender-Menschen aus dem Militär, aus Grundschulen, Mittelschulen und Gymnasien verbannt werden sollen (23.12.24), dann wird diese Gleichberechtigung in Frage gestellt, und die Gefolgsleute auch in Europa jubeln Trump zu, ohne zu merken, dass sie den Ast absägen, auf dem sie sitzen. Denn die Nachkriegsordnung, das Kriegsverbot, die Ahndung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die Menschenrechte, die Demokratie und die Freiheit (und damit auch alle Innovationskraft, die Wirtschaft und der Wohlstand) – alles hängt mit allem zusammen. Vielleicht hilft es, sich an John Rawls (1921-2002) zu erinnern und an sein Gedankenexperiment vom «Schleier des Nichtwissens»: Angenommen wir alle würden uns vor unserer Geburt treffen und eine vernünftige Diskussion darüber führen, welche Prinzipien in der Welt nach unserer Geburt gelten sollen, ohne zu wissen, wo, wann oder als wer wir geboren werden – auf welche Prinzipien würden wir uns wohl einigen? - Eben. Es lohnt sich, sich für genau diese Prinzipien einzusetzen. Sich in die Haut derjenigen Menschen zu versetzen, die vor über 80 Jahren vom Faschismus und dem Holocaust direkt betroffen waren, kann ein erster Schritt in diese Richtung sein. Die Ausstellung «Lebensgeschichten: Zeitzeugnisse von Genoziden» zeigt anhand der Biografien von acht Zeitzeugen, wie brutal sich der Faschismus und der Holocaust ins Leben einfacher Menschen einschnitt. Es könnte auch uns treffen. 

Matthias Kreher, Fachlehrer Geschichte und Staatskunde